Unsere nationale Würdelosigkeit
Den Leserbrief von Ministerpräsident a. D. Dr. Berndt Seite „Deutschland hat seine Soldaten
vergessen (F.A.Z. vom 23. Mai 2015) möchte ich dankbar unterstützen. Am 8. Mai 1995 konnte ich die
Rede des damaligen französischen Staatspräsidenten Mitterrand im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt
in Berlin miterleben, wo er die gefallenen deutschen Soldaten so ehrte: "Sie waren tapfer. Sie
nahmen den Verlust ihres Lebens hin. Für eine schlechte Sache, aber diese Heldentat hat damit
nichts zu tun. Sie liebten ihr Vaterland."
Welten trennen den deutschen Bundespräsidenten und hohe deutsche Repräsentanten aus Politik, Medien
und Gesellschaft in ihrem Schweigen über die deutschen Soldaten zum 8. Mai 2015 vom ehemaligen
französischen Staatspräsidenten. Der Bundespräsident ehrte nicht deutsche, sondern sowjetische
Soldaten und würdigte die Rote Armee Stalins als "Befreier" Deutschlands. Der Bundestag verpflichtet
den deutschen Steuerzahler, zehn Millionen Euro an überlebende ehemalige Kriegsgefangene zu zahlen -
an sowjetische, nicht an deutsche. Doch nicht nur die deutschen Soldaten, sondern alle Opfer des
Zweiten Weltkriegs haben diese deutschen Repräsentanten vergessen und beschwiegen: die vielen Millionen
toter deutscher Männer, Frauen und Kinder, getötet, ermordet, verhungert, verbrannt, vergewaltigt,
erfroren, verstorben - im Krieg, bei Flucht und Vertreibung, im Bombenterror, in den Straf-und
Konzentrationslagern der Sowjetunion und des früheren Ostblocks oder in amerikanischen Gefangenenlagern wie in den Rheinwiesen.
Ein anderer französischer Präsident, Charles de Gaulle, hat einmal gesagt:
"Die Kultur eines Volkes erkennt man daran,
wie es mit seinen Toten umgeht." Das Verhalten deutscher Repräsentanten zum 8. Mai 2015 zeigt danach einen bisher weltweit
unbekannten historischen und kulturellen Tiefstand nationaler Würdelosigkeit. Das belegt auch die Ansprache von Frank
Richter, Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, zum Volkstrauertag 2011 im Sächsischen Landtag,
wo er sagte: "Die Toten sind die, die ihre Würde nicht mehr zu verteidigen vermögen. Der Tod konnte ihre Würde nicht
zerstören. Er hat sie uns überlassen. Geben wir den Toten die Ehre, ... leisten wir einen Akt menschlicher
Anständigkeit und Solidarität."
CARL-DIETER SPRANGER, BUNDESMINISTER A.D., ANSBACH
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