Wortmeldungen 2015


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Erstveröffentlichung dieses Artikels: 26/05/2015 - Quelle: Leserbriefe Systempresse

Schäubles Demokratie:
Mit Gewalt und Terror das Wall-Street-Programm überall durchsetzen

An die BRD-Demokratie glauben also nur noch die Dummen

 

02. Mai, 2015

Frankfurter Allgemeine Zeitung

S. 8

Demokratie - ein institutionelles Hindernis?

Schäuble vor dem Brookings Institute: Wir brauchen Zwang, keine Demokratie

Schäuble am 17. April 2015 vor dem jüdischen "Brookings Institute" in Washington: Reformpläne der Wall-Street in Europa ohne Demokratie, sondern mit Zwang, wie bei Spanien, durchsetzen.

"Paris empört sich über Schäuble - 'Unerträgliche und inakzeptable Frankreich-Feindlichkeit'" titelt die F.A.Z. am 18. April. Der Bericht zitiert Äußerungen des deutschen Ministers, in Frankreich wünschten sich ranghohe Regierungsvertreter, ihr Parlament würde zu strukturellen Reformen gezwungen. Bei näherem Zusehen geht es bei diesem Vorgang nicht in erster Linie um Schäubles Haltung zu Frankreich, sondern zur Staatsform Demokratie. Schäuble äußert hier nämlich als ranghoher Vertreter unserer Exekutive in aller Öffentlichkeit Zweifel am Parlamentarismus und am demokratischen Regierungssystem. Das ist "unerträglich" und "inakzeptabel".

Der Minister spricht darüber, inwieweit institutionelle Rahmenbedingungen (wie Parlamentarismus und Demokratie) Entscheidungen über strukturelle Reformen erleichtern oder erschweren. Als erfolgreiches vergangenes Beispiel nennt er Spanien, wo die Wirtschaftsreformen durch die Troika "erzwungen" worden seien: "Spain was by the way forced (sic!) by the institutions." Diesen Gedankengang überträgt er aufs gegenwärtige Frankreich und sagt: "Frankreich wäre glücklich, könnte jemand das Parlament zwingen, ... aber da ist die Demokratie ... Es ist schwer, was durchzukriegen ..." ("France would be happy if someone could force (sic!) the parliamentary, ... but (sic!) it's democracy ... It's difficult to get..."). Die Kernaussage (eingekleidet in Aussagen Dritter) lautet: Eigentlich sind strukturelle Reformen notwendig - aber dem stehen Demokratie und parlamentarische Entscheidungsprozesse im Wege.

Zu diesem Demokratieverständnis ist zweierlei anzumerken: Erstens: Hier äußert sich ein amtierender Minister - ein Vertreter der Exekutivspitze - zweifelnd über die Gewalt, der er selbst untersteht - nämlich die Legislative -, und damit den Souverän - nämlich das Volk -, das dieses Parlament und seine Mehrheiten demokratisch bestimmt. Die Aussage Schäubles ist im Kern demokratieskeptisch. Er sympathisiert - das wird an dem zweimaligen durchaus befürwortenden Gebrauch des Wortes "forced" (also "gezwungen") deutlich - mit einem Zwang, der eine von ihm als alternativlos erachtete politische Regierungsmaßnahme der freien Willensbildung des Parlaments und des Volkes entzieht und damit politisch durchsetzt. Man fühlt sich erinnert an Bertolt Brechts Spruch anlässlich der Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni in der DDR: "Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?" Schäuble spricht über Spanien und Frankreich - aber sollte seine Haltung zum deutschen demokratischen Regierungssystem nennenswert abweichen?

Zweitens: Wann hört endlich die Unsitte auf, dass amtierende Politiker sich in Medien und öffentlich innerhalb wie außerhalb ihres Kompetenzbereiches verbreiten? Sollten sie nicht einfach ordentlich und entsprechend ihrer Rolle im Gewaltenteilungssystem ihre Arbeit tun und darüber die Öffentlichkeit informieren? Niemand kann und will Wolfgang Schäuble eine bejahende Auffassung von Demokratie aufzwingen. Niemand kann und will ihm verbieten, sich über Grenzen demokratischer Willensbildung und Alternativen zu ihr Gedanken zu machen, darüber zu sprechen und zu streiten. Aber hier wirft sich ein amtierender Minister -in aller Öffentlichkeit und außerhalb seiner verfassungsmäßigen Kompetenz - frech und achselzuckend zum Zensor über das System demokratischer Regierungsorganisation auf. Er zweifelt dabei die Kompetenz der Volksrepräsentation an, der er selbst Unterstellt ist. Das sollte eigentlich nicht zu demokratischen Spielregeln gehören.

Ist also nicht eher das fehlgeleitete Demokratieverständnis unseres Ministers "unerträglich" und "inakzeptabel" als die beanstandete Frankreich-Feindlichkeit?
PROFESSOR DR. ULRICH MÜCKENBERGER, BREMEN


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