Migration als Disneyland? - Amerikas Realismus
Wenn deutsche Journalisten Urlaub in New York machen, kommen sie mit glänzenden Augen nach Hause.
Dieses bunte Leben überall, Menschen in Saris, mit Turbanen und Schläfenlocken, die chinesisch,
spanisch oder hebräisch sprechen und senegalesische und karibische Restaurants frequentieren. Und
diese pittoresken Stadtquartiere, Litte Italy oder Chinatown. Und alles so schön und sauber und sicher.
Das wollen wir auch!
Dabei ist das ein großes Missverständnis. Little Italy ist nicht entstanden, damit die Italiener ihre
Kultur in der Fremde bewahren konnten, sondern weil die "White Anglo-Saxon Protestants", die WASPs,
nicht mit Italienern Tür an Tür wohnen wollten. Und friedlich war es schon gar nicht. Es gab blutige
Straßenkämpfe zwischen italienischen und jüdischen Gangs, während in Chinatown Triaden Geschäftsleuten
die Finger brachen. Zuvor lynchten englischstämmige Protestanten irische Katholiken, Weiße erschlugen
Immigranten aus Asien; es gab Pogrome gegen Einwanderer aus Polen, Russland und Deutschland - von der
Gewalt gegen Indianer und Afro-Amerikaner ganz zu schweigen.
Heute ist Little Italy eine hübsche, bunte Fassade für Touristen, zwei Blocks mit italienischen
Restaurants und Cafés, wo kein einziger Italiener wohnt und das vom örtlichen Community Board unter
Quasi-Denkmalschutz gestellt wurde. Mit der Bewahrung der Kultur italienischer Immigranten hat es
so viel zu tun wie das Matterhorn in Disneyland mit der Bewahrung der Kultur Schweizer Immigranten.
Gerade darum begeistert es so viele Deutsche. Deutschland will gar kein Einwanderungsland sein,
sondern ein Einwanderungs-Disneyland. Es will die Schokoladenseiten:
die bunten Saris, die exotischen Restaurants, die Straßenkarren mit Kiwis und
Auberginen, den guten Ruf als Helfer der zusammengepferchten Massen, so wie es an der Freiheitsstatue steht.
Aber die unschöne Phase mit
den messerstechenden Gangs, den mafiösen Parallelstrukturen, den Rassenkriegen und den Hinterzimmern,
wo das politische Süppchen aus der Heimat gekocht wird, soll bitte übersprungen werden.
Die Hauptfunktion von Einwanderung in Amerika war lange, das leergeräumte Land mit Weißen zu besiedeln.
Heute geht es eher darum, qualifizierte Fachkräfte und Arbeiter ins Land zu holen. Aber das Prinzip
blieb gleich: Survival of the fittest. Nachdem anfangs jeder (Weiße) einfach kommen konnte, hatte der
Kongress seit 1924 die Daumenschrauben angelegt, und seit dem Terror von 2001 erst recht.
An der Grenze zu Mexiko gibt es eine Mauer, bewacht von Soldaten.
Flüchtlingsboote werden zurückgeschickt, außer sie kommen aus Kuba.
Wer einwandert, muss
ein Arbeits- oder Firmengründungsvisum haben (oder heiraten). Wer kriminell wird, fliegt. Sozialhilfe
gibt es nur für Amerikaner, und die ist nicht hoch. Deshalb funktioniert Unterstützung meist innerhalb
des Stammes, der Familie, der ethnischen Gruppe, der Kirche. Einwanderer holen ihre Landsleute nach und helfen einander hoch,
und darum geht es ja auch: der eigenen Gruppe einen Vorsprung zu verschaffen.
Zwar funktioniert das bunte Miteinander auf amerikanischen Straßen tatsächlich,
aber nur dort, wo
die harte Hand der Stadtregierung dafür sorgt. Noch in den neunziger Jahren bekriegten sich in
Brooklyn Schwarze und Juden auf der Straße, und in Los Angeles brannte South Central. Das war noch
harmlos; in den Sechzigern, als in Newark oder Detroit Rassenkriege tobten, rückte das Militär
ein und schoss. Heute gibt es im New Yorker Central Park mehr Polizisten pro Quadratmeter als
Biodeutsche im Görlitzer Park, in Manhattan mehr Überwachungs-kameras als in Moskau, und wer
einen Busfahrer anspuckt, kann sieben Jahre im Knast landen. Das senkte die Kriminalitätsrate
erheblich. Natürlich werden dabei leider auch Unschuldige erschossen …
Wo die Verwaltung unfähig, korrupt oder pleite ist, wie in St. Louis oder New Orleans,
ziehen die
Weißen in Vorstädte, in rassisch getrennte, gentrifizierte Stadtteile, sie legen sich privaten Wachschutz
zu oder bewaffnen sich. Sobald eine Stadtverwaltung versucht, eine Schule in einem weißen Stadtteil
"kulturell vielfältig" zu machen, setzt eine Massenflucht in die Privatschulen ein. Davon sind auch deutsche
Korrespondenten nicht ausgenommen; ich habe noch keinen getroffen, der seine eigenen Kinder in
eine "urbane" Schule in New York und Washington schickt. Das alles ist ein bisschen ungerecht,
aber es funktioniert.
Worum geht es aber in Deutschland? Kriegsflüchtlingen helfen? Rentenzahler importieren? Billige
Facharbeiter? Mehr Kinder? Mehr Buntheit auf der Straße?
Was die Linken angeht, hat man den Eindruck, sie wollten ein Multikulti-Disneyland verwirklichen,
das nur in ihrer Phantasie existiert. Dieses Disneyland soll einhergehen mit weniger Polizei,
weniger Militarismus, weniger Zwang, stattdessen mehr Runde Tische, Ringelreihen und
Karnevals der Kulturen.
Aber selbst im richtigen Disneyland gibt es einen Wachdienst, und umsonst kommt da auch keiner
rein. Wer eine multikulturelle Gesellschaft will, muss auch mit den Schattenseiten leben:
mehr Polizei, mehr Überwachung, weniger Solidarität, mehr
Bevölkerungstrennung und mehr Privatisierung.
EVA C. SCHWEITZER
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