Zeitgeschichte 2003

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Kinder im glückseligen Taumel der Befreiung

WELT am SONNTAG

5. März 1995

Seite 30

Die Deportation als Zwangsarbeiter in die Sowjetunion. Kinder flehten vergeblich:
"Mutti, Mutti, bleib doch hier!"

Es war Abend in dem kleinen oberschlesischen Dorf in der Nähe der Stadt Beuthen. Auf der Dorfstrasse stand ein Lastwagen der Roten Armee, ohne Verdeck. Hinter dem Wagen eine größere Zahl von Frauen, umringt von Rotarmisten. Die Frauen kletterten auf den Wagen. Sie weinten und blickten sich immer wieder um. In der Nähe des Fahrzeugs stand eine Schar von Kindern, größere, kleine und ganz kleine. Die Rotarmisten trieben die Frauen zur Eile an. Schließlich standen sie dichtgedrängt auf der Ladefläche. Eine der Frauen stimmte ein Lied an, ein Heimatlied über das schöne Schlesien. Mit zitternden Stimmen fielen die anderen ein. Dann sangen die Frauen ein Abschiedslied. Die Kinder versuchten, sich dem Wagen zu nähern. Rotarmisten drängten sie mit quergehaltenen Waffen zurück. Da streckten die Kinder über Waffen hinweg flehend die Hände aus und klagten, "Mutti, Mutti, bleib doch hier!" Der Gesang auf dem Lastwagen ging in haltloses Schluchzen über. Der Wagen fuhr an und davon nach Osten.

Bild im Kasten gehört nicht zu dem Beitrag aus der Welt am Sonntag